31.05.2019

Polymedikation – wann ist weniger mehr?

Patienten, die unter mehreren Erkrankungen zugleich leiden, nehmen oft zu viele Medikamente gleichzeitig. Hier gilt es, eine gute Balance zwischen Übertherapie und Untertherapie zu finden.

Über 40% der über 65-jährigen Deutschen nehmen täglich mindestens fünf Arzneimittel ein. Bei geriatrischen Patienten sind es häufig sogar mehr als zehn Medikamente. Der Hausarzt ist als Koordinator der Versorgung und als Lotse durch das Gesundheitssystem hier besonders gefragt.

In der Praxis gehören multimorbide Patienten, die zusätzlich indikationsbedingt bei mehreren Fachärzten in Behandlung sind, mittlerweile zum hausärztlichen Alltag. „Werden alle Krankheiten dieser Patienten einzeln nach oftmals an speziellen Diagnosen ausgerichteten Leitlinien behandelt, hat das nicht selten eine unübersichtliche Fülle an Medikamenten zur Folge“, erläutert Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig, Vorstandsvorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), eine der Herausforderungen in der Praxis. Nicht selten fügen Patienten zu den ärztlich verordneten Arzneimitteln ihrer Medikamentenliste frei verkäufliche Mittel hinzu. Für den Hausarzt als Koordinator der Medikation sind damit besondere Anforderungen verbunden: Er muss sich nicht nur einen Überblick über die gesamte Medikation des Patienten verschaffen, sondern auch eine notwendige Einnahme unterschiedlicher Medikamente von unerwünschter und risikoreicher Multimedikation unterscheiden. „Und dann, idealerweise in Absprache mit allen am Behandlungsprozess Beteiligten, eine medizinisch sinnvolle und für den Patienten praktikable Arzneimittelverordnung gestalten“, erklärt Ludwig.

 „Für den Hausarzt ist es häufig schwierig, die Medikation auf ein verträgliches Gesamtmaß zusammenzustreichen“, berichtet Prof. Dr. med. Daniel Grandt, Mitglied des Vorstands der Arzneimittelkommission und Chefarzt der Klinik für Innere Medizin am Klinikum Saarbrücken. Widerstände gegen das Absetzen von Arzneimitteln liegen auf beiden Seiten: Patienten und Angehörige beispielsweise unterschätzen oftmals die Risiken, überschätzen die Wirkung oder glauben Sparmaßnahmen zum Opfer gefallen zu sein. „Aber auch Mediziner sind vor dem Unterschätzen der Risiken und dem Überschätzen der Wirkung nicht gefeit“, ergänzt Grandt.

Die Hausärztliche Leitlinie Multimedikation empfiehlt, bei Patienten mit Multimedikation grundsätzlich einmal im Jahr die medikamentöse Behandlung vollständig zu erfassen und zu bewerten. Das gilt besonders dann, wenn der Patient Arzneimittel mit hohem Interaktionspotenzial oder einer engen therapeutischen Breite erhält. Daneben kann es auch akute Anlässe zur weiteren Reduktion der Arzneimittel geben, wie neue (unspezifische) Beschwerden oder Nebenwirkungen, Einnahmeprobleme, neue Behandlungsprioritäten, Klinikentlassung oder die Neudiagnose weiterer Erkrankungen. Auch die „Leitlinie Multimorbidität bietet Allgemeinmedizinern eine gute und wichtige Orientierung im Praxisalltag. Das gilt auch für Listen und Instrumente wie PRISCUS (Liste potenziell inadäquater Medikation für ältere Menschen), die START oder die STOPP Kriterien. „Bei der Optimierung der Arzneitherapie alter multimorbider und multimedizierter Menschen geht es nicht darum, einfach weniger Medikamente zu verschreiben. Es gilt, die Balance zwischen unangemessener Übertherapie auf der einen und für den Patienten relevanter Untertherapie auf der anderen Seite zu finden“, betont Grandt.

Quelle: AOK Nordost

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