09.05.2022

Arterienverkalkung: Erkrankte Blutgefäße kommunizieren auch mit dem Gehirn

Bei Arterienverkalkung (Arteriosklerose) werden zwischen Blutgefäß und Gehirn auch Nervensignale ausgetauscht. Diese Erkenntnis könnte langfristig die Therapiemöglichkeiten erweitern.

Etliche Labors forschen weltweit an der Erkrankung Arteriosklerose. Doch ihr Augenmerk liegt auf atherosklerotischen Plaques. Die Ablagerungen aus Cholesterin, faserigem Gewebe und Immunzellen bilden sich im Inneren von Arterien. Sie engen das Lumen der Blutgefäße immer weiter ein, sodass weniger Sauerstoff ins Körpergewebe gelangt. Bekannte Folgen sind Herzinfarkt, Schlaganfall oder Raucherbein.

„In den letzten Jahrzehnten hat niemand gefragt, ob es eine direkte Verbindung zwischen der Arterie und dem Gehirn gibt. Der Grund dafür ist offenbar, dass atherosklerotische Plaques nicht innerviert sind“, berichtet Dr. Sarajo K. Mohanta vom LMU-Institut für Prophylaxe und Epidemiologie der Kreislaufkrankheiten. Genau diese Verbindung konnte er zusammen mit Prof. Dr. Andreas Habenicht vom LMU-Institut für Prophylaxe und Epidemiologie der Kreislaufkrankheiten, Prof. Dr. Christian Weber, Direktor des Instituts, und einem internationalen Team jetzt nachweisen (siehe Nature, online seit 27.4.22). Wichtige Ergebnisse wurden auch von Prof. Dr. Daniela Carnevale und Prof. Dr. Giuseppe Lembo von der Universität La Sapienza in Rom erarbeitet.

Die Forschenden berichten über Signale, welche vom Blutgefäß mit Plaques über Nerven zum Gehirn geleitet werden. Nach der Verarbeitung gelangen weitere Signale zurück zum Blutgefäß.

Zum Hintergrund: Die Wand von Arterien besteht aus drei Komponenten, einer äußeren, mittleren und inneren Schicht. Plaques sind im Inneren zu finden. Sie werden nicht von Nervensträngen durchzogen, was schon lange bekannt ist. „Deshalb ist bisher niemand auf die Idee gekommen, zu untersuchen, ob das periphere Nervensystem bei Arteriosklerose mit Blutgefäßen in Kontakt tritt“, erklärt Habenicht.
Seine Arbeitsgruppe erforscht seit 2004, was bei Arteriosklerose an der Außenwand von Arterien passiert. „Arteriosklerose ist eben mehr als nur ein Plaque; vielmehr es geht um die Entzündung der Arterie selbst, und zwar auch an deren Außenseite“, ergänzt Mohanta, der federführend die Experimente durchgeführt hat.

Auf solche Entzündungen reagiert das periphere Nervensystem. Das Habenicht-Team fand heraus, dass molekulare Fühler, Rezeptoren genannt, eine zentrale Rolle haben. Sie befinden sich an der Außenwand der Gefäße. Rezeptoren erkennen, wo sich Plaques befinden und wo Gefäße entzündet sind, indem sie Botenstoffe der Entzündung identifizieren. Anschließend senden sie elektrische Signale über die Nervenbahnen bis in das Gehirn. Das Gehirn verarbeitet die Signale und sendet ein Stresssignal zurück bis in das entzündete Blutgefäß. Dadurch wird die Entzündung negativ beeinflusst, und die Arteriosklerose verschlechtert sich.

Dieser bislang unbekannte elektrische Kreislauf zwischen den Arterien und dem Gehirn hat perspektivisch eine immense Bedeutung. Im Tierexperiment durchtrennte Prof. Carnevale die elektrische Verbindung zwischen einer erkrankten Arterie und dem Gehirn. Acht Monate später verglich sie behandelte Mäuse mit Tieren ohne diesen Eingriff. Bei Nagern mit der experimentellen Therapie war die Arteriosklerose tatsächlich weniger ausgeprägt als bei den Kontrollen. „Langfristig hoffen wir, dass Arteriosklerose endlich kausal therapiert werden kann“, betont Mohanta, „doch das kann noch dauern“.

Im nächsten Schritt wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler herausfinden, wie das periphere Nervensystem genau organisiert ist – und welche Rolle weitere Rezeptoren spielen. Viel deutet auch darauf hin, dass die Schnittstelle zwischen Gehirn und erkrankten Blutgefäßen durch Stress reguliert wird. Deshalb plant Habenicht, neurobiologische Aspekte zu untersuchen: Welche Zellen im Gehirn reagieren auf Signale aus erkrankten Blutgefäßen? Und mit welchen Regionen im Gehirn stehen diese Zellen wiederum in Verbindung?

Quelle: Ludwig-Maximilians-Universität München
 

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