17.02.2022

Wann darf man nach einer Hüft- oder Knie-OP wieder ans Steuer?

Wer zu früh nach der Implantation einer Endoprothese oder mit Gehstützen wieder Auto fährt, begeht im ungünstigsten Fall eine Straftat (laut StGB § 315c) und keine bloße Ordnungswidrigkeit.

„Wann darf ich wieder ans Steuer?“ ist eine der wichtigsten Fragen von Patientinnen und Patienten bei der Planung ihres künstlichen Hüft- oder Kniegelenks. Denn Fahrtauglichkeit steht für Mobilität, Unabhängigkeit und soziale Teilhabe. Doch bisher fehlten belastbare Daten zu dieser Fragestellung.

Zwei neue klinische Studien der Charité – Universitätsmedizin Berlin haben nun die Wiedererlangung von Reaktionszeit und Bremskraft nach dem Eingriff systematisch untersucht. Sie kommen zu dem  Schluss, dass Patienten mit einer Hüftprothese frühestens vier Wochen nach der OP wieder fahrtüchtig sind (siehe HIP International 2022, Band 32/1, Seite: 51–55). Nach dem Ersatz ihres Kniegelenks sollten Betroffene mindestens sechs Wochen warten, bis sie wieder ein KFZ steuern (siehe Knee Surgery, Sports Traumatology, Arthroscopy 2021, Band 29, Seite: 3213–3220).

Mit diesen Daten können wir unsere Patienten bezüglich ihrer Rückkehr in den Straßenverkehr gut beraten, betont die AE – Deutsche Gesellschaft für Endoprothetik e. V. Nach wie vor entscheidend bleibe jedoch der Gesamtzustand. Dazu gehören etwa die grundsätzliche Leistungsfähigkeit, Begleiterkrankungen sowie die Einnahme von Medikamenten, die müde machten.

„Die Fähigkeit, eine Notbremsung durchzuführen, gehört zu den zentralen Voraussetzungen, um sicher Auto zu fahren“, erklärt Prof. Dr. med. Carsten Perka, Generalsekretär der AE und Ärztlicher Direktor des Centrums für Muskuloskeletale Chirurgie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Wesentlich beim Bremsvorgang sind eine intakte Reaktionszeit auf den Bremsreiz (BRT) sowie Kraft, das Bremspedal ausreichend zu betätigen – sog. Bremspedalkraft (BPF). „An BRT und BPF sind Muskeln beteiligt, die sich - auch nach muskelschonenden Operationen, wie wir sie heute meist durchführen - erst wieder regenerieren müssen“, so der Orthopäde und Unfallchirurg. „BRT und BPF gehören deshalb zur Beurteilung der Fahrtüchtigkeit dazu.“ Bis heute habe jedoch keine Studie die Kombination dieser Parameter untersucht.

In die prospektive, also im Vorfeld geplante Studie zur Erfassung der Fahrtauglichkeit nach Implantation einer Hüftprothese sind 25 Patienten (15 Männer, 10 Frauen, Durchschnittsalter 51.3 ± 10.1 Jahre, BMI: 26.8 ± 4.9 kg/m2) eingegangen. Alle Patienten wurden minimal-invasiv mit einem zementfreien Implantat rechts versorgt. Der OP-Zugang erfolgte von der Seite. In einem Fahrsimulator wurde mit einer Messsohle die Bremsfähigkeit für Notbremsungen (Zeit und Kraft) erfasst. Die Messungen fanden 6 Tage vor dem Eingriff sowie 2, 4 und 6 Wochen nach der Operation statt. Nach 4 Wochen wurden bei BRT und BPF keine statistisch signifikanten Unterschiede zum Zustand vor der Operation mehr gemessen.

Nach Implantation einer Knieprothese bestanden die Einschränkungen über einen längeren Zeitraum. An der Studie nahmen 30 Patienten (16 Frauen, 14 Männer, Alter 66 ± 11 Jahre, BMI 22.5 ± 4.2 kg/m2) teil, die auf der rechten Seite eine zementierte Knieendoprothese erhielten. Dabei wurden vor der OP sowie 5 Tage, 3 bis 4 und 6 Wochen danach BPF, neuronale Reaktionszeit (NRT), Bremsreaktionszeit (BRT) und subjektive Parameter (Schmerz, selbst wahrgenommene Fahrtüchtigkeit) gemessen. Hier war die BPF der einzige messbare Parameter, der sich nach der OP zunächst signifikant verschlechterte. Erst nach sechs Wochen hatten die Werte wieder das Ausgangslevel erreicht. Aber auch die Patienten stuften ihre eigene Fahrtüchtigkeit erst zu diesem Zeitpunkt wieder als „gut“ ein. Auffällig waren in dieser Studie auch die erheblichen Differenzen der Werte zwischen den einzelnen Individuen. „Insofern erscheint es hier zielführender, statt absoluter Schwellenwerte eher den einzelnen Patienten zu betrachten und seine Parameter vor und nach der OP zu vergleichen“, so Perka.

Dies betont auch Priv.-Doz. Dr. Stephan Kirschner, Präsident der AE und Direktor der Klinik für Orthopädie in den ViDia Kliniken, Karlsruhe: „Bei der Wiederaufnahme der Fahraktivität sollte immer die Betrachtung des Individuums im Vordergrund stehen. Im Zweifel gelte es, Geduld zu haben und länger zu warten, denn eine Gefährdung des Straßenverkehrs kann laut Strafgesetzbuch (StGB) § 315c eine Straftat darstellen“, erläutert er.

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e. V.

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