19.08.2019

Gestörter Schlaf wird unterschätzt

Die Bedeutung von gutem Schlaf für die Gesundheit erläutert Dr. Olaf Göing, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin II mit Schwerpunkt Kardiologie des Sana Klinikums Berlin-Lichtenberg, in einem Interview.

Tiefer Schlaf ist wohltuend und wichtig für unsere Gesundheit. Trotzdem finden viele Menschen keine Ruhe, wälzen sich stundenlang hin und her. Welche Ursachen es für Schlafstörungen gibt, wie man diese erkennen und beheben kann und was jeder selbst für erholsamen Schlaf tun kann, erklärt Dr. Olaf Göing, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin II mit Schwerpunkt Kardiologie des Sana Klinikums Berlin-Lichtenberg.

Frage: Herr Dr. Göing, mehr als 30 Prozent unseres Lebens verbringen wir schlafend im Bett. Warum müssen wir das tun?

Antwort: „Diese Frage beschäftigt uns schon seit langer Zeit. Was wir heute wissen, ist, dass Schlaf für Menschen ein absolutes Grundbedürfnis ist. Er hat eine regenerative Funktion und bringt unseren ganzen Organismus wieder auf Vordermann. Vor allen aber wird der „Arbeitsspeicher“ unseres Gehirns gesäubert und für den nächsten Tag vorbereitet. Deshalb ist Schlaf so wichtig; dauerhafter Schlafentzug ist Folter und endet nach kurzer Zeit tödlich.“

Wie regenerieren wir, wenn wir schlafen?

 „Körperlich und seelisch-geistig. Körperlich findet eine „Wartung“ der Organsysteme statt. Der Körper hat endlich genug Zeit, Reinigungs- und Reparaturvorgänge sowie eine „Entgiftung“ der Organsysteme auf zellulärer Ebene durchzuführen. Seelisch-geistig verarbeiten wir im Schlaf Dinge, die wir tagsüber erlebt haben. Etwa, wenn uns ein berufliches Problem beschäftigt. Manchmal wachen wir am Morgen auf und haben dann plötzlich eine Lösung für ein Problem gefunden, das uns tags zuvor noch erhebliches Kopfzerbrechen bereitet hat. Dabei wird gleichzeitig der „Arbeitsspeicher“ unseres Gehirns von unnötigem Ballast befreit und neu formatiert.“

Was fehlt uns, wenn wir nicht schlafen?

„Nur, wenn wir ausreichend Schlaf finden, sind wir leistungsfähig und fühlen uns wohl – wir haben eben ausgeschlafen. Wer kaum schläft, altert auch schneller. Denn im Schlaf produziert unser Körper die meisten Wachstumshormone, die wir zur Zellerneuerung brauchen. Und im Schlaf laden wir unsere Energiereserven, die wir tagsüber verbraucht haben, wieder auf. Fehlt der Schlaf länger, drohen ernsthafte körperliche und psychische Krankheiten.“

Was heißt das konkret?

„Wenn man schlecht oder zu wenig bzw. kurz schläft, dann läuft man beispielsweise Gefahr, Bluthochdruck zu bekommen oder Diabetes zu entwickeln. Es steigt das Risiko für einen Schlaganfall und Herzinfarkt um ein Vielfaches an. Hiervon sind insbesondere Patienten mit schlafbezogenen Atmungsstörungen, dem sog. Schlaf-Apnoe-Syndrom betroffen. Außerdem gibt es einen Zusammenhang zwischen Depressionen und Schlafstörungen. Depressionen können Schlafstörungen auslösen, aber auch umgekehrt. Und nicht zuletzt: Es leidet die Lebenserwartung.“

Wie lang sollte man also schlafen?

„Das ist sehr unterschiedlich. Jeder Mensch hat ein individuelles Schlafbedürfnis. Von Napoleon Bonaparte sagt man, er sei mit täglich vier Stunden Schlaf prima ausgekommen, Albert Einstein hingegen soll zwölf Stunden die Augen geschlossen haben. Der gesunde Schlaf sollte regelmäßig etwa sieben Stunden umfassen. Aber Vorsicht: Auch ein viel zu langer Schlaf (über acht bis neun Stunden täglich) kann sich negativ auswirken.“

Welche Einschlafstörungen gibt es?

„Es gibt verschiedene Formen der Ein- und Durchschlafstörungen. Neben den eher harmlosen Formen wie Schlafwandeln, Albträumen oder schlafbezogenen Bewegungsstörungen, zum Beispiel dem Syndrom der unruhigen Beine, gibt es auch Atmungsstörungen, die mit nächtlichen Atemaussetzern (obstruktive Schlafapnoe) einhergehen und erheblichen gesundheitlichen Konsequenzen – zum Beispiel ein erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall mit sich bringen.“

Was machen Schlafstörungen mit dem Organismus?

 „Das Risiko der Schlafstörungen wird unterschätzt! Vor allen Dingen die Tagesmüdigkeit trägt dazu bei, dass es zu Verkehrsunfällen durch Sekundenschlaf kommt. Darüber hinaus führen Schlafstörungen zu einer Verschlechterung des sogenannten metabolischen Syndroms mit ansteigenden Fettstoffwechsel- und Blutzuckerwerten, einer Zunahme des Übergewichtes, einem Anstieg des Blutdrucks sowie daraus resultierend einem erhöhten Schlaganfall- und Herzinfarktrisiko. Untersuchungen zeigen auch, dass Schlafstörungen die Entwicklung von Demenz-Erkrankungen und Alzheimer begünstigen. Patienten mit Schlafstörungen sind gefährdet, an Depressionen zu erkranken und Patientinnen im gebärfähigen Alter haben zudem eine erhöhte Fehlgeburtenrate.“

Was sollten Menschen tun, die nicht schlafen können?

 „Zum Arzt gehen. Die meisten warten viel zu lange ab und nehmen schlechten Schlaf oft monate- oder gar jahrelang hin. Dabei gibt es eigentlich eine klare medizinische Definition: Wenn jemand drei Monate lang schlecht schläft, besteht bereits eine chronische Insomnie. Berichten Sie Ihrem Hausarzt von den Schlafstörungen. Er kann Sie dann an einen fachkundigen Schlafmediziner oder an ein Schlaflabor überweisen.“

Zum Schluss noch ein Problem, das wohl jeder kennt. Man wirft sich hin und her und kann einfach nicht einschlafen. Was tun?

 „Zunächst einmal sollten Sie das zu Bett gehen vorbereiten. Das heißt zum Beispiel, nicht bis ultimo zu arbeiten. Etwa ein bis zwei Stunden vor dem Schlafengehen sollte man runterfahren. Entspannende Musik hören oder etwas nicht zu Aufregendes lesen. Der Körper braucht diese Zeit zwischen dem Stress tagsüber und dem Beginn des Schlafes. Die Raumtemperatur sollte etwa 18 Grad Celsius betragen, es sollte ruhig und dunkel sein - späte Mahlzeiten vermeiden. Und: Handy, Tablet und Laptop sind vor dem Schlafengehen Tabu und haben neben dem Bett nichts verloren. Denn sie reduzieren die Melatonin-Ausschüttung, die der Körper braucht, wenn er auf „Schlaf“ und Erholung umschalten soll.“

Und wenn sich trotzdem kein Schlaf einstellen will?

 „Wer nachts einmal partout nicht schlafen kann, der sollte – so komisch das jetzt klingen mag – das Bett verlassen. Andernfalls kann eine Konditionierung zwischen Bett und Schlaflosigkeit entstehen und sich auf die Folgenächte ausweiten. Sie können z. B. in die Küche gehen, ein Glas Wasser trinken und sich immer wieder selbst sagen: ‚Wenn ich mal eine Nacht nicht schlafe, geht die Welt nicht gleich unter‘. Eventuell hilft es auch, etwas Entspannendes zu lesen, um wieder sanft einzuschlafen.“

Quelle: Sana Klinikum Berlin-Lichtenberg

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