29.08.2022

"Stuhlökogramme sind Voodoo-Medizin"

Viele Fragen zur Rolle des Mikrobioms bei Reizdarm bleiben offen. Das Geld für Analysen der Stuhlflora sollten Betroffene sich aber sparen, meint Prof. Thomas Frieling vom Helios-Klinikum Krefeld.

Veränderungen der Darmflora (des Mikrobioms) wird beim Reizdarm-Syndrom eine wichtige Rolle zugeschrieben. Das Geld für Analysen der Stuhlflora sollten Betroffene sich trotzdem sparen, wie Prof. Thomas Frieling vom Helios-Klinikum Krefeld bei einer Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) betonte.

„Wir wissen viel – aber noch viel zu wenig“: So beschrieb Prof. Thomas Frieling den Kenntnisstand zum Thema Reizdarm-Syndrom und Mikrobiom. Das Darmmikrobiom spiele bei der Erkrankung wahrscheinlich eine große Rolle. Die Diversität der Bakterien im Magen-Darm-Trakt sei beim Reizdarm, wie bei vielen anderen Krankheiten, deutlich reduziert. „Aber bislang ist es noch nicht gelungen, bestimmte Bakterien zu identifizieren, die dafür verantwortlich sind.“ Aktuell sei es daher nicht möglich, aus der Mikrobiomforschung konkrete diagnostische oder therapeutische Konsequenzen für den Reizdarm abzuleiten, betonte der Experte.

Für gänzlich überflüssig hält Frieling sogennnte Stuhlökogramme, also kommerzielle Analysen des Stuhlmikrobioms, die Patienten auf eigene Kosten anfertigen lassen. „Das ist Voodoo-Medizin, das hat klinisch überhaupt keine Bedeutung, das schaue ich mir gar nicht an.“ Stuhlanalysen könne man derzeit nur für wissenschaftliche Untersuchungen machen, und selbst dort gebe es Standardisierungsprobleme. Im Alltag kommt hinzu, dass beim Transport der Stuhlprobe ins Labor die Bakterien weiterwachsen und das Ergebnis daher nicht mehr repräsentativ ist. Außerdem werden wichtige Mukosa-assoziierte Bakterien durch die Stuhlanalyse wahrscheinlich unzureichend erfasst. „Das Geld für solche Analysen sollte man sich sparen“, so Frieling.

Laut Frieling kennt man bisher keine Diäten oder Lebensmittel, mit denen sich das Mikrobiom von Reizdarmpatienten gezielt positiv beeinflussen lässt. „Es gibt keine Reizdarm-spezifische Diät. Eine ausgewogene Ernährung ist die beste diätetische Therapie.“ Auch der Nutzen von Probiotika ist Frieling zufolge unklar, einen Therapieversuch hält der Gastroenterologe aber „durchaus für gerechtfertigt“. Dafür könnten jedoch keine speziellen Produkte empfohlen werden, vielmehr müsse man nach dem Trial-and-Error-Prinzip vorgehen.

Der fäkale Mikrobiomtransfer, auch Stuhltransplantation genannt, ist beim Reizdarm-Syndrom keine Option. Er ist derzeit nur bei Clostridoides-difficile-Infektionen etabliert und zugelassen, ansonsten darf die Methode nur in wissenschaftlichen Studien angewendet werden.  
Die Erforschung des Mikrobioms beim Reizdarm und anderen Magen-Darm-Erkrankungen „bleibt spannend, und da haben wir noch viel vor uns“, meint Frieling. Der Gastroenterologe geht davon aus, dass es in den nächsten Jahren gelingen wird, Bakterienstämme zu identifizieren, die ersetzt oder eliminiert werden müssen, und damit spezifische Therapien anzubieten.

Quelle: www.springermedizin.de vom 17.7.2022

© Internisten-im-Netz

Impressum

Datenschutz

Bildquellen

Kontakt

Herausgeber

Berufsverband Deutscher Internistinnen und Internisten e.V.