Unterzuckerung bei Menschen ohne Diabetes

Die für Menschen mit Diabetes angegebenen Blutzucker-Schwellenwerte für Unterzucker-Reaktionen und -Beschwerden gelten auch für Menschen ohne Diabetes, bei denen ohne Medikamenteneinwirkung spontan - sowohl nüchtern (also ohne vorhergehende Nahrungszufuhr) als auch reaktiv im Abhängigkeit von der Nahrungszufuhr – Hypoglykämien auch ausgeprägter Art auftreten  können.

Blutzuckerkonzentrationen von unter 40 mg/dl (2,2 mmol/l) sind ein eindeutiger Indikator für eine Hypoglykämie, vorausgesetzt die Messung ist mit einer laborgenauen Methodik durchgeführt worden. Reine „Stix“-Messungen mittels Schnelltest anhand eines Bluttropfens aus der Fingerkuppe sind wegen der bekannten Ungenauigkeit im niedrigen Bereich nicht ausreichend. 

Besonders ausgeprägte Beschwerden treten meist dann auf, wenn die Blutzuckerwerte rasch abfallen, d.h. mit mehr als 1 mg/dl (0.06 mmol/l) pro Minute, wohingegen langsam absinkende Werte auch unter 40 mg/dl (2,2 mmol/l) „symptomlos“ bleiben können.

Nüchtern-Hypoglykämien treten mehr als sechs Stunden nach Nahrungszufuhr auf, z.B. nach starker körperlicher Anstrengung oder auch nach Alkoholgenuss am Vorabend. Auch chronische Lebererkrankungen kommen als Ursache in Frage. Die Konzentrationen des  Blutzucker senkenden Hormons Insulin im Blut sind dabei nicht erhöht bzw. nur relativ zu hoch. Nüchtern-Hypoglykämien können aber auch auf massiv erhöhte Insulinspiegel hinweisen, z.B. auf einen Insulin produzierenden Tumor oder komplexe autoimmune Vorgänge. Messungen von Insulin bzw. seiner Hormonvorstufen unter genormten Bedingungen oder auch spezieller Antikörper sind essentiell für die Diagnosestellung und das weitere Vorgehen. Mit diesen Messungen ist auch die Abgrenzung gegenüber  versehentlicher  oder absichtlicher Zufuhr von Blutzucker senkenden Tabletten oder Insulin möglich, d.h. einer „Fake-Hypoglykämie“.

Reaktive Hypoglykämien treten zwei bis fünf Stunden nach Nahrungszufuhr auf. Fixierte frühe reaktive Hypoglykämien können im Zusammenhang mit einer operativen Entfernung oder drastischen Verkleinerung des Magens als sogenanntes funktionelles Dumping-Syndrom auftreten, späte reaktive Unterzuckerungen ca. drei oder vier Stunden nach Nahrungszufuhr, insbesondere nach kohlenhydrat- oder glukosereicher Nahrung,  können ein Frühzeichen für einen späteren Diabetes sein. Oft trifft dieses Phänomen auch ohne späteren Diabeteshinweis auf besonders schlanke, jüngere Frauen zu. Bezüglich Behandlung gilt es, die Unterzucker auslösenden Nahrungsmittel, insbesondere stark glukose- oder traubenzuckerhaltige Getränke und Gerichte, zu vermeiden, ebenso große Mahlzeiten, und stattdessen auf kleinere, aber häufigere (Zwischen-) Mahlzeiten mit größerem Ballaststoffanteil sowie gleichzeitiger Fett- und Eiweißzufuhr umzustellen. Häufig verschwindet dann diese Bereitschaft für reaktive Hypoglykämien nach einigen Jahren.

Darüber hinaus gibt es auch eine ganze Reihe von seltenen, z.T. genetisch bedingten Formen von reaktiven Hypoglykämien wie die erbliche Fruktose-Intoleranz oder die Leuzin-Empfindlichkeit oder die Nesidioblastose bei Neugeborenen mit Nüchtern-Hypoglykämie infolge vorübergehender Überfunktion des Insulin-produzierenden Gewebes in der Bauchspeicheldrüse. Schwere Hypoglykämien können auch bei Neugeborenen von Müttern mit ungenügend eingestelltem Diabetes während der Schwangerschaft auftreten.

Schließlich begünstigen auch Funktionsschwäche von einigen Hormonorganen wie Schilddrüse, Nebenniere oder Hirnanhangsdrüse die Entstehung von reaktiven Hypoglykämien. Andererseits weisen mehrfache Insulin produzierende Tumore in der Bauchspeicheldrüse auf das mögliche Vorliegen eines MEN-1 Syndrom hin mit Tumorentwicklung auch an der Nebenschilddrüse oder des Vorderlappens der Hirnanhangsdrüse und anderer Hormondrüsen.

Alle diese seltenen Ursachen von Hypoglykämien einschließlich von Insulin produzierenden Tumoren  erfordern die besondere Expertise des Hormon-Spezialisten, d.h. des Endokrinologen, sowohl bei der Diagnostik als auch bei der Therapie.

Autor/Autoren: Wissenschaftliche Beratung & Ausarbeitung: Prof. Dr. Eberhard Standl, München

Literatur:
Rationelle Diagnostik und Therapie in der Inneren Medizin in 2 Ordnern; Hrsg.: J. Meyer et al. ; Elsevier, 11/2018

© Internisten-im-Netz

Impressum

Datenschutz

Bildquellen

Kontakt

Herausgeber

Berufsverband Deutscher Internistinnen und Internisten e.V.