28.05.2018

Körperliche Aktivität nutzt auch der Gesundheit künftiger Nachkommen

Nach körperlicher und geistiger Aktivität reichern sich bestimmte genetische Moleküle (RNA) nicht nur im Gehirn, sondern auch in den Keimzellen an. So kann Lernfähigkeit epigenetisch vererbt werden.

Körperliche und geistige Aktivität sind nicht nur gut für das eigene Gehirn, sie können auch die Lernfähigkeit späterer Nachkommen beeinflussen – zumindest bei Mäusen. Diese besondere Form der Vererbung wird durch bestimmte RNA-Moleküle vermittelt. Sie reichern sich nach körperlicher und geistiger Aktivität nicht nur im Gehirn, sondern auch in den Keimzellen an und beeinflussen die Genaktivität. Prof. André Fischer und Fachkollegen vom DZNE in Göttingen und München und der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) berichten darüber im Fachjournal Cell Reports (Online-Veröffentlichung am 23.4.2018).

Ein Dogma der Genetik lautete lange Zeit: „Erworbene Eigenschaften ändern nicht die Sequenz des Erbmaterials und können daher nicht an die Nachkommen weitergegeben werden.“ In den letzten Jahren haben Wissenschaftler jedoch einige Beispiele gefunden, die diesem Prinzip widersprechen. Eine schlechte Ernährung beispielsweise erhöht das Krankheitsrisiko – nicht nur das eigene, sondern auch das der Nachkommen. Auch Lebensumstände wie Stress oder Trauma können sich auf die nächste Generation auswirken. Wissenschaftler nennen dieses Phänomen „epigenetische“ Vererbung, da sie nicht mit einer Veränderung der DNA-Sequenz einhergeht.

Prof. André Fischer und Fachkollegen untersuchten nun die Vererbung einer weiteren erworbenen Eigenschaft: der Lernfähigkeit. Es ist bekannt, dass geistige und körperliche Aktivität die Lernfähigkeit verbessern und das Risiko für Erkrankungen wie Alzheimer mindern. Bei Mäusen zeigten die Wissenschaftler nun, dass Lernfähigkeit epigenetisch vererbt wurde. Wenn Fischer und Kollegen Mäuse einer stimulierenden Umgebung aussetzten, in der sie viel Bewegung hatten, profitierten davon auch ihre späteren Nachkommen: Sie schnitten - im Vergleich zu den Tieren einer Kontrollgruppe – in Tests der Lernfähigkeit besser ab. Darüber hinaus war die sogenannte synaptische Plastizität im Hippocampus (einer wichtigen Lernregion des Gehirns) verbessert. „Synaptische Plastizität“ ist ein Maß dafür, wie gut Nervenzellen miteinander kommunizieren und damit die zelluläre Grundlage für das Lernen.

Als nächstes untersuchten die Wissenschaftler, welcher Mechanismus diesem Phänomen zugrunde liegen könnte. Sie konzentrierten sich dabei auf die epigenetische Vererbung von Vätern und suchten nach dessen materieller Grundlage in den Spermien. Spermien enthalten neben der väterlichen DNA – dem Molekül, in dem die Erbanlagen gespeichert sind – auch RNA-Moleküle (die nicht doppelsträngig, sondern einzelsträngig vorliegen und zum Ablesen der genetischen Information dienen). In Experimenten überprüften die Wissenschaftler, welche Rolle diese RNA-Moleküle bei der Übertragung der Lernfähigkeit spielen. Dazu extrahierten sie RNA aus Spermien von Mäusen, die körperlich und geistig aktiv waren. Diese injizierten sie in befruchtete Eizellen und untersuchten die Tiere, die sich daraus entwickelten. Fazit: Auch in diesen Mäusen waren die synaptische Plastizität und die Lernfähigkeit verbessert. Die körperliche und geistige Aktivität wirkte sich also auf die kognitiven Fähigkeiten der Nachkommen positiv aus und dieser Effekt wurde durch die RNA in den Spermien übertragen.

In weiteren Injektionsexperimenten mit RNA-Extrakten konnten die Wissenschaftler genauer eingrenzen, welche RNAs für die epigenetische Vererbung verantwortlich sind. Sie zeigten, dass zwei sogenannte microRNAs – miRNA212 und miRNA132 – zumindest einen Teil der vererbten Lernfähigkeit erklären können. microRNAs sind Steuermoleküle, sie beeinflussen die Aktivierung von Genen. „Unsere Arbeiten bringen zum ersten Mal ein epigenetisches Phänomen konkret mit bestimmten microRNAs in Verbindung“, erklärt Fischer, leitender Wissenschaftler am DZNE und an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der UMG.

Darüber hinaus stellten die Forscher fest, dass sich miRNA212 und miRNA132 nach körperlicher und geistiger Aktivität sowohl im Gehirn als auch in den Spermien der Mäuse anreichert. Im Gehirn fördern diese RNAs – das war bereits bekannt – die Bildung von Synapsen und damit die Lernfähigkeit. Über die Spermien werden sie auf die Nachkommen übertragen. „Hier verändern sie vermutlich sehr subtil die Gehirnentwicklung, so dass die Nervenzellen besser vernetzt sind und die Nachkommen einen kognitiven Vorteil haben“, erläutert Fischer.

Auch beim Menschen weiß man, dass körperliche Aktivität und geistiges Training die Lernfähigkeit steigern. Ob Lernfähigkeit epigenetisch vererbt wird, lässt sich beim Menschen jedoch nicht ohne Weiteres untersuchen. Die Ergebnisse von Fischer und seinen Kollegen helfen aber, Hinweise auf diese Frage zu finden. So planen die Forscher nun, zu überprüfen, ob auch in menschlichen Spermien die Moleküle miRNA212 und miRNA132 nach Phasen körperlicher oder geistiger Aktivität angereichert werden.

Quelle: Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE)

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